Klassifizierungen im Wettkampfsport sind notwendig, weil alle Sporttreibenden ein Anrecht auf grösstmögliche Chancengleichheit haben. Klassifizierungssysteme ordnen Sportler*innen mit ähnlichen Voraussetzungen oder Fähigkeiten Gruppen zu, so dass die Leistungen untereinander vergleichbar sind und einzig und allein Fähigkeit, Fitness, Kraft, Ausdauer, taktisches Geschick und mentale Stärke über Sieg oder Niederlage entscheiden.

Teilnahmeberechtigung

Zur Teilnahme an paralympischen Wettbewerben sind Athlet*innen berechtigt, die mindestens eine der folgenden zehn Beeinträchtigungen aufweisen:

Beeinträchtigung der Muskelkraft

Reduzierung der von einzelnen Muskeln oder Muskelgruppen erzeugten Kraft, z.B. in der Muskulatur bestimmter Gliedmassen oder einer Körperhälfte. Beispielhaft verursacht von Wirbelsäulenverletzungen, Spina Bifida (Neuralrohrfehlbildung) und Poliomyelitis.

Beeinträchtigung der passiven Beweglichkeit

Die Bewegungsmöglichkeiten eines Gelenks oder mehrerer Gelenke sind dauerhaft eingeschränkt. Gelenkhypermobilität und Gelenkinstabilität sowie akute Formen der Bewegungseinschränkung (wie z.B. Arthritis) gelten nicht als zur Teilnahme berechtigende Beeinträchtigungen.

Amputationen oder Fehlbildung von Gliedmassen

Völliges oder teilweises Fehlen von Knochen oder Gelenken als Folge einer angeborenen Fehlbildung, einer Verletzung (z.B. einem Autounfall oder einer Amputation) oder einer Krankheit (z.B. Knochenkrebs).

Unterschiedliche Beinlängen

Verkürzung des Knochens in einem Bein als Folge einer angeborenen Fehlbildung oder eines Unfalls.

Kleinwuchs

Reduzierte Körpergrösse (im Stehen) in Folge einer Knochenanomalie in den oberen und unteren Extremitäten oder des Rumpfes, z. B. einer Achondroplasie, oder von Störungen des Wachstumshormonhaushalts.

Muskelhypertonie

Erhöhte Spannung der Muskulatur und Einschränkung der Fähigkeit, einen Muskel zu strecken. Muskelhypertonie kann in Folge einer Verletzung, einer Krankheit oder einer Schädigung des zentralen Nervensystems (Zerebralparese) auftreten.

Ataxie

Neurologisch bedingte Störungen der Muskelkoordination, z. B. in Folge einer Zerebralparese, von Gehirnverletzungen oder einer multiplen Sklerose.

Athetose

Unwillkürlich, unkontrollierte Muskelbewegungen und Schwierigkeiten bei der Aufrechterhaltung einer symmetrischen Körperhaltung, z. B. in Folge einer Zerebralparese, von Gehirnverletzungen oder einer multiplen Sklerose.

Beeinträchtigung der Sehfähigkeit

Die Sehfähigkeit ist entweder durch eine Schädigung der Augenstruktur, des Sehnervs / der optischen Pfade oder des visuellen Cortex im Gehirn (visuelle Funktionen der Grosshirnrinde) beeinträchtigt.

Intellektuelle Beeinträchtigung

Signifikant limitierte intellektuelle Fähigkeiten und Defizite im adaptiven Verhalten (konzeptionelles, soziales und praktisches Anpassungsvermögen). Die Behinderung ist vor dem 18. Lebensjahr in Erscheinung getreten.

Menschen mit Hörbehinderungen sind in einem eigenen Gehörlosensportverband, Comité International des Sports des Sourds (CISS) organisiert und nehmen aus historischen und organisatorischen Gründen nicht an Paralympics teil.

Klassifizierung

Unterschiede in Alter, Geschlecht und bei den körperlichen Gegebenheiten (z. B. Gewichtsunterschiede), falls sie bei der Ausübung einer bestimmten Sportart von Bedeutung sind, sollen ausgeglichen werden, um möglichst faire Voraussetzungen für spannende sportliche Wettkämpfe zu schaffen.

Im Sport für Menschen mit Behinderungen, besonders im Leistungs- und paralympischen Sport, spielen Klassifizierungen eine grosse Rolle, da hier die Unterschiede bei den körperlichen und geistigen Voraussetzungen zur Ausübung einer Sportart besonders individuell und vielfältig sind. Um eine Vergleichbarkeit der Leistungen herzustellen und ein grösstmögliches Teilnehmerfeld zu generieren, wurde ein umfangreiches Klassifizierungssystem entwickelt.

Zu viele Klassen wiederum beeinträchtigen die Attraktivität des Sports der Menschen mit Behinderungen. Die Wettkämpfe werden für die Zuschauenden unübersichtlich, oder es fehlt die Spannung, weil zu wenige Sportler in einem Wettbewerb gegeneinander antreten. Damit die Attraktivität des Sports auch für die Zuschauenden erhalten bleibt, gilt es Kompromisse zu finden zwischen einer grösstmöglichen Differenzierung bei den Teilnehmenden einerseits und der Übersichtlichkeit der Wettkämpfe andererseits.

Verbesserungsmöglichkeiten im Klassifizierungssystem werden daher ständig diskutiert. Beispielhaft für die Suche nach Lösungen sind die Regelungen für Sportler mit Körperbehinderungen. In einigen paralympischen Sportarten werden diese funktionell klassifiziert, d. h. man achtet auf die vorhandenen Beeinträchtigungen bei der Ausführung von Bewegungen und beurteilt eher die Gemeinsamkeiten, weniger die Art der Behinderungen.

In den meisten Rollstuhldisziplinen sind somit beinamputierte oder spastisch gelähmte Sportler denen mit Querschnitt- oder Poliolähmungen zugeordnet. Unterschiede bei den Handicaps können durch Zeitgutschriften oder Punktevorteile ausgeglichen werden. Die Suche nach bestmöglichen Lösungen führt zu andauernden Diskussionen, auch über die Anzahl und Auswahl der Sportarten und der zugehörigen Wettbewerbe bei paralympischen Spielen. Wie im olympischen Sport auch, gibt es in einer Sportart, je nach Anzahl der Teilnehmer*innen paralympische und nicht paralympische Sportklassen. Bei der Klassifizierung wird entschieden, wer zur Teilnahme an einer paralympischen und nicht paralympischen Sportklasse berechtigt ist und welchen Wettkampfklassen die Sportler – entsprechend ihren individuellen und sportartspezifischen Einschränkungen – zuzuordnen sind.

Informationen über die gesamten Klassifizierungssysteme mit allen Detailfragen erhalten Sie auf Anfrage bei den jeweiligen internationalen Sportfachverbänden (IFs) des paralympischen Sports oder beim Internationalen Paralympischen Komitee (IPC).

Klassifizierungssysteme
Jede paralympische und nicht-paralympische Sportart verfügt über ihr eigenes Klassifizierungssystem. Die Systeme werden von den jeweiligen internationalen Sportfachverbänden entwickelt und bei Bedarf aktualisiert. Um die verschiedenen Kategorien anschaulicher zu machen, hat der dreifache britische Paralympics-Goldmedaillengewinner Giles Long die Seite LEXI ins Leben gerufen. Auf ihr kann Schritt für Schritt über Grafiken nachvollzogen werden, welche körperliche Einschränkungen zu welcher möglichen Klassifizierung führen können.

Die internationalen Sportfachverbände (IFs) entscheiden auch, für welche Gruppen von Beeinträchtigungen sie Sportmöglichkeiten bereitstellen wollen. Manche paralympische Sportarten wurden eigens für Athleten mit einer bestimmten Beeinträchtigung entwickelt. Goalball z.B. wird ausschliesslich von Athleten mit einer Beeinträchtigung der Sehfähigkeit ausgeübt. In anderen Sportarten, etwa in der Leichtathletik und im Schwimmen, können Athleten mit allen zehn zur Teilnahme berechtigenden Beeinträchtigungen an den Start gehen.

Den internationalen Sportfachverbänden (IFs) obliegt ebenfalls die Entscheidung darüber, wie schwer die Beeinträchtigung sein muss, um eine Berechtigung zur Teilnahme an dem betreffenden Sport zu begründen. Hierbei müssen sie sich lediglich an die Vorgabe halten, dass die Beeinträchtigung schwer genug sein muss, um eine Einschränkung der sportlichen Leistungsfähigkeit zu bewirken. Zu definieren ist dementsprechend ein bestimmter „Mindestumfang von Beeinträchtigungskriterien“. Wird entschieden, dass bestimmte Athleten diesen Mindestumfang nicht erfüllen, bedeutet dies nicht, dass die Existenz einer ernsthaften Beeinträchtigung bestritten wird. Entschieden wird ausschliesslich darüber, ob bestimmte Athleten gemäss den Regeln des zuständigen internationalen Sportfachverbandes zur Teilnahme an Wettkämpfen in der betreffenden Sportart berechtigt sind oder nicht.

Da unterschiedliche Sportarten unterschiedliche Fertigkeiten und Bewegungsabläufe erfordern, verfügen die einzelnen Sportarten auch über unterschiedliche Klassifizierungssysteme. Diese Systeme reflektieren z. B. den Umstand, dass sich eine eingeschränkte Bewegungsfähigkeit der Arme relativ stark auf die Leistungsfähigkeit eines Schwimmers auswirkt, hingegen nur relativ schwach auf die Leistungsfähigkeit eines Läufers.

Lediglich die Klassifizierung von Athleten mit einer Beeinträchtigung der Sehfähigkeit erfolgt nicht sportartspezifisch, sondern auf der Grundlage des betreffenden medizinischen Befundes übergreifend für alle Sportarten und Disziplinen. Die Bezeichnungen der entsprechenden Wettkampfklassen können sich allerdings von Sportart zu Sportart voneinander unterscheiden.

Wettkampfklassen

Die Wettkampfklassen zur Einstufung von Athleten reflektieren das Ausmass, in dem ihre Leistungsfähigkeit in der betreffenden Sportart durch die vorliegenden Beeinträchtigungen eingeschränkt wird. Wettkampfklassen können daher Athleten mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen erfassen, solange die betreffenden Beeinträchtigungen die sportliche Leistungskraft in einem vergleichbaren Ausmass einschränken. Im 1500-m-Rollstuhlrennen der Leichtathletik z. B. treten Athleten mit einer Paraplegie und beidseitigen Beinamputationen (oberhalb des Knies) in derselben Wettkampfklasse an, da ihre unterschiedlichen Beeinträchtigungen vergleichbare Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit haben.

In den einzelnen Sportarten treten Athleten gegen andere Athleten derselben Wettkampfklasse an, um eine möglichst weitgehende Reduzierung der Auswirkung individueller Beeinträchtigungen zu erwirken. Bei nationalen und kleineren internationalen Wettbewerben kann es vorkommen, dass Athleten unterschiedlicher Wettkampfklassen um Sieg und Plätze streiten, weil nicht in jeder Wettkampfklasse eine für einen Wettbewerb ausreichende Zahl von Athleten gemeldet worden ist. In diesen Fällen kann die Leistung von Athleten verschiedener Wettkampfklassen mit Hilfe eines Koeffizienten gewichtet werden, um den unterschiedlichen Ausmassen der Beeinträchtigungen Rechnung zu tragen.

In manchen paralympischen Sportarten – z. B. dem Gewichtheben (Powerlifting) – gibt es nur eine Wettkampfklasse. Um die Berechtigung zur Teilnahme zu erhalten, müssen die Athleten hier lediglich den entsprechenden Mindestumfang der Beeinträchtigungskriterien erfüllen. In Mannschaftssportarten wird allen Spieler eine Punktzahl zugewiesen, die das Ausmass ihrer Beeinträchtigung reflektiert. Je niedriger die Punktzahl, desto höher der Grad der Einschränkung. Die Summe der Punktzahl aller Spieler eines Teams auf dem Spielfeld darf zu keinem Zeitpunkt des Spiels eine bestimmte Höchstzahl überschreiten. Dadurch wird eine bestimmte Wettbewerbsgleichheit zwischen den Mannschaften und den einzelnen Spieler hergestellt.

Wie werden Athleten den einzelnen Wettkampfklassen zugeordnet?

Die Zuordnung der Athleten zu den verschiedenen Wettkampfklassen erfolgt im Anschluss an eine Bewertung durch ein Gremium von Klassifizierungsbeauftragten. Jeder internationale Sportfachverband hat entsprechende Beauftragte für die Bewertung von Athleten auszubilden und zu zertifizieren.

Bei den Klassifizierungsbeauftragten, die Athleten auf die unterschiedlichen, oben aufgezählten physischen Beeinträchtigungen zu untersuchen haben, handelt es sich entweder um Personen mit einer medizinischen Ausbildung oder um Sachverständige der betreffenden Sportart. Klassifizierungsbeauftragte für Athleten mit einer Beeinträchtigung der Sehfähigkeit haben über einen Hintergrund in Augenheilkunde oder Augenoptik zu verfügen. Für die Bewertung von Athleten mit einer intellektuellen Beeinträchtigung sind Psychologen und Sachverständige der betreffenden Sportart einzusetzen.

Die Bewertung von Athleten erfolgt jeweils vor Beginn des betreffenden Wettbewerbs. Aus diesem Grunde haben Athleten, die einem entsprechenden Bewertungsverfahren zu unterziehen sind, mehrere Tage vor Beginn des ersten Wettkampfs anzureisen. Je nach Typ und Schwere der Beeinträchtigung können Athleten mehrere Male im Laufe ihrer sportlichen Laufbahn einem entsprechenden Bewertungsverfahren unterzogen werden. Bestimmte Beeinträchtigungen können sich im Lauf der Zeit verändern, z. B. Sehschärfe und Muskelhypertonie. Jüngere Athleten haben ggf. zum Zeitpunkt ihres ersten Bewertungsverfahrens noch nicht die volle Skelettreife erreicht (z. B. im Schwimmen). In entsprechenden Fällen können die Klassifizierungsbeauftragten eine weitere Untersuchung der betreffenden Athleten im Rahmen des nächsten Wettbewerbs oder nach Ablauf eines bestimmten Zeitraums (z. B. jährlich oder alle zwei Jahre) anordnen.

Athleten haben das Recht zur Anfechtung der von Klassifizierungsgremien getroffenen Entscheidungen. Der IPC-Code für die Klassifizierung von Athleten regelt die Abläufe von Protest- und Einspruchsverfahren. Die betreffenden Vorschriften sind bindend für alle internationalen Sportfachverbände.

 

Kontakt

Für Fragen zur Klassifizierung wenden Sie sich an: classifier@swissparalympic.ch

IPC Athlete Classification Code

Der neue 2015 IPC Athlete Classification Code tritt zum 01. Januar 2017 in Kraft und muss bis zum 1. Januar 2018 von allen Mitgliedsorganisationen in die Verbandsregelwerke implementiert werden. Die finale Version inkl. der internationalen Standards sind abrufbar auf der IPC Website unter Classification Code review tab.

 

Download

2015-IPC_Athlete-Classification+Code_DEUTSCH

International+Standard+for+Athlete+Evaluation-DEUTSCH

International+Standard+for+Classification+Data+Protection-DEUTSCH

International+Standard+for+Classifier+Personnel+and+Training-DEUTSCH

International+Standard+for+Eligible+Impairments-DEUTSCH

International+Standard+for+Protests+and+Appeals-DEUTSCH