Ein Team, ein Geist - und jetzt kommt das Kribbeln
In 42 Tagen ist es soweit, mit einjähriger Verspätung werden am 24. August in Tokio die Paralympics eröffnet. Die Pandemie hat die Planung ordentlich durcheinander gebracht. Doch das Schweizer Team steht. Insgesamt werden 13 Athletinnen und 7 Athleten in der japanischen Hauptstadt um Medaillen kämpfen. An einer Medienkonferenz in der Rehaklinik Bellikon wurde heute, am 12. Juli, so etwas wie der definitive Startschuss gegeben.
Schwimmerin Nora Meister erlebt in Tokio ihre ersten Paralympics, für Rollstuhlsportler Marcel Hug ist es bereits die fünfte Teilnahme. In einem sind sich Rookie und Routinier aber einig: “Das Kribbeln kommt”, sagt die 18-jährige Aargauerin Meister, “ich wollte cool bleiben”, sagt Hug, “aber spätestens jetzt kribbelt es”. Das “jetzt” bezog sich auf den Medientermin, der am Montag (12. Juli) in der Rehaklinik Bellikon stattfand. Es war so etwas wie der offizielle Startschuss, 42 Tage vor der Eröffnungsfeier in Tokio. 13 Athletinnen und 7 Athleten in sieben verschiedenen Sportarten werden die Schweiz in Japan vertreten und alles tun, um ihre Träume wahr werden zu lassen.
Von der wachsenden Vorfreude sprach in Bellikon auch René Will, Präsident von Swiss Paralympic. “Es war die gefühlt längste Vorbereitungszeit auf einen solchen Grossanlass”, fügte er im Hinblick auf die spezielle Zeit der Pandemie an, die Verschiebung um ein Jahr. Speziell würden auch die Paralympics selbst, vermutlich ohne Zuschauer, mit starken Einschränkungen bei der Bewegungsfreiheit. Diese aussergewöhnliche Herausforderung ist allen bewusst, “aber wir werden für unsere Athlet*innen möglichst optimale Bedingungen schaffen,”, sagt auch Swiss-Paralympic-Geschäftsführerin Conchita Jäger, die in diesem Zusammenhang ein besonderes Lob an die Sponsoren aussprach: “Ohne sie wäre unsere Mission gar nicht möglich.”
Die Frage nach den Medaillen
Eine Mission, deren Schweizer Chef Roger Getzmann ist. Er stellte an der Medienkonferenz alle Athlet*innen vor, erwähnte den stets steigenden Frauenanteil, der mittlerweile gesamthaft 40 Prozent beträgt. Mit einem Lächeln verwies er darauf, dass die Schweiz mit 65 Prozent Frauenanteil ordentlich zu diesem erfreulichen Trend beitrage.
Und wie viele Medaillen wird das Team mit nach Hause bringen? Getzmann holte dabei etwas aus, für Swiss Paralympic gehe es vor allem darum, möglichst gute Bedingungen am Event zu schaffen, von einem konkreten Ziel wolle er deshalb nicht reden. Wohl wissend, dass die Frage damit nicht beantwortet ist, sprach der Chef de Mission von einer “Prognose, ich halte sechs Medaillen für realistisch”. Das wäre in etwa die Zahl von Rio 2016 (5), aber weniger als 2012 in London (13). “Die Erklärung dafür ist die enorme Professionalisierung weltweit”, sagt Getzmann. Der aber auch betont, dass Medaillen natürlich vor allem für die Athlet*innen enorm wichtig seien, für Swiss Paralympic gehe es aber auch stark darum, dass sich alle als “stolze und würdige Botschafter*innen der Schweiz” zeigen.
Mit neuem Rollstuhl - und mit Weltrekord
Meister und Hug sind dazu bereit. Hug hat bei Paralympics bereits zweimal Gold und zahlreiche weitere Medaillen gewonnen. Er ist in Tokio mit einen nagelneuen Rollstuhl am Start, “es hat enorm Spass gemacht, bei diesem Projekt mit der ETH Zürich, Orthotec, Sauber, Swiss Side und der Schweizer Paraplegiker Stiftung dabei zu sein”. Der Traum von einer Medaille lebt damit umso mehr. Nora Meister brillierte vor kurzem mit einem Weltrekord über 400m Freistil. “Für mich”, sagte sie charmant zurückhaltend, “geht es vor allem auch darum, Wettkampferfahrung an diesem Event zu sammeln.” Und dann schaut sie gerne, wohin das Kribbeln sie trägt.
Mit den Leichtathlet*innen ist das Schweizer Team komplett
An diesem Montag wurden auch die Teilnehmer*innen in der Leichtathletik bekannt gegeben. Wie im Cycling konnten aufgrund der Zahl der Startplätze nicht alle Athlet*innen, die die Vorgaben erfüllt hatten, nominiert werden. Bei den Männern wurden der Luzerner Beat Bösch (Tetraplegiker/T52) und der Thurgauer Marcel Hug (Spina bifida/T54) selektioniert. Neben diesen beiden Rollstuhlsportlern ergänzt der Sprinter Philipp Handler (Achromatopsie/T13) das Herrenteam. “Wir hätten gerne auch Fabian Blum mitgenommen”, sagt Getzmann. Aufgrund der beschränkten Platzzahl fiel die Wahl aber auf Handler. Der Zürcher hat jüngst seine persönliche Bestzeit über 100 m auf 11,05 Sekunden verbessert, das habe letztlich den Ausschlag gegeben, sagt Getzmann.
Bei den Frauen vertritt ein Quintett die Schweiz in Tokio: die Thurgauerin Catherine Debrunner (Steissteratom/T53), die Schwyzerin Elena Kratter (Unterschenkelamputation/T63) und die Luzernerin Manuela Schär (Paraplegie/T54) sicherten sich den Platz allesamt direkt durch ihre starken Auftritte an der WM. Dazu kommen Patricia Eachus (Spina bifida/T54) und Sofia Gonzalez (Unterschenkelamputation/T63). Für die Luzernerin Eachus spricht der Exploit an der EM mit zweimal Gold (800 m, 1500 m) und einmal Bronze (5000 m). Bei der Waadtländerin Gonzalez sieht Getzmann schliesslich, dass sie sich “Schritt für Schritt der Weltspitze annähert”. Deshalb bekam sie den letzten freien Startplatz.
Die Fachkommission Sport von Swiss Paralympic mit Andreas Heiniger (Leiter Leistungssport Rollstuhlsport/Schweizer Paraplegiker-Vereinigung) und Matthias Schlüssel (Leiter Spitzensport PluSport) hatten die Selektionsentscheide getroffen. Diese mussten dann von der Selektionskommission bestätigt werden, bestehend aus René Will (Präsident Swiss Paralympic), Laurent Prince (Vize-Präsident), Conchita Jäger (Geschäftsführerin) und Roger Getzmann.
Das Team von Swiss Paralympic für Tokio
Badminton
Cynthia Mathez, 35, Solothurn
Karin Suter-Ehrat, 50, Aargau
Cycling
Sandra Graf, 51, Appenzell AR
Sandra Stöckli, 35, St. Gallen
Tobias Fankhauser, 31, Baselland
Heinz Frei, 63, Bern
Fabian Recher, 22, Bern
Dressurreiten
Nicole Geiger, 58, Aargau, mit ihren Pferd Amigo
Leichtathletik
Catherine Debrunner, 26, Thurgau
Patricia Eachus, 31, Luzern
Sofia Gonzalez, 20, Waadt
Elena Kratter, 25, Schwyz
Manuela Schär, 36., Luzern
Beat Bösch, 50, Luzern
Philipp Handler, 30, Zürich
Marcel Hug, 35, Thurgau
Schwimmen
Nora Meister, 18, Aargau
Leo McCrea, 17, Poole (Eng)
Sportschiessen
Nicole Häusler, 41, Luzern
Tennis
Nalani Buob, 20, Zug
Weiterführende Links
Hier finden Sie den Link zur Präsentation an der Medienkonferenz: https://www.dropbox.com/sh/uwn7rnm57qvf3bj/AACQHLKsHhTQ1kEWV5ANJz8ja?dl=0
Fotos & Video-Rohmaterial finden Sie hier: https://www.dropbox.com/sh/caxy7qd027906cv/AAAUvAaHbUMMoaLt89u1wtWla?dl=0
Weitere Informationen
Conchita Jäger, Geschäftsführerin Swiss Paralympic, conchita.jaeger@swissparalympic.ch, +41 31 359 73 55
Roger Getzmann, Chef de Mission Tokyo 2020, roger.getzmann@spv.ch, +41 41 939 54 12
Regula Späni, Medienverantwortliche Mission Tokyo 2020, regula@spaenimedia.ch, +41 78 689 18 16
Text: Christian Andiel
Foto: Marcus Hartmann