Paris 2024 DE 28. August 2024

Im 27-köpfigen Aufgebot von Swiss Paralympic sind neun Athletinnen und Athleten, die in Paris erstmals an Paralympics am Start sind, davon einige Medaillenhoffnungen und eine Pionierin.

Fabian Blum

Der 29-jährige Luzerner ist zurück an dem Ort, an dem er im letzten Jahr den grössten Erfolg seiner bisherigen Karriere feiern konnte.

An der WM 2023 sprintete Blum im Stade Charléty im Süden von Paris überraschend zu Silber über 100 m. "Ich verspüre eine extreme Freude, wenn ich an Paris denke", sagt Blum, der als Elektroplaner von seinem Arbeitgeber seit Januar unbezahlten Urlaub zugesprochen erhielt, damit er sich voll auf seine ersten Paralympics konzentrieren kann. Dadurch bleibt ihm mehr Zeit für die Erholung, aber auch gezielte Vorbereitungsblöcke in Teneriffa und Dubai waren Teil der Vorbereitung. Der frühere Kunstturner erwartet bei seinen Starts über 400 m und 100 m eine schnelle Bahn im Stade de France, was ihm grundsätzlich behagt. Die Voraussetzungen stimmen also für den nächsten Coup in Paris.

Licia Mussinelli

Für die 23-jährige Solothurnerin ist Paris die Stadt der Premieren.

Im letzten Jahr nahm Mussinelli erstmals an einer Weltmeisterschaft der Elite teil, in diesem Jahr folgt die Feuertaufe auf paralympischer Bühne. Die gelernte Kauffrau ist die Jüngste im starken Leichtathletik-Team, hat aber auch internationale Erfolge aufzuweisen. An der WM in diesem Jahr im japanischen Kobe holte die Athletin mit italienischen Wurzeln Bronze über 100 m und damit ihre erste Medaille auf dieser Stufe. Bei Paralympics sei das Niveau noch höher, sagt Mussinelli. Deshalb setzt sie sich für ihre Starts über 100 m und 400 m nicht Medaillen als Ziel, sondern primär Finalqualifikationen. "Ich werde mein Bestes geben", sagt sie. "Und dann kommt, was kommt."

Flurina Rigling

Wer das Palmarès der Zürcherin anschaut, kann sich nur schwer vorstellen, dass sie noch nie unter den paralympischen Agitos gestartet ist. Die 27-Jährige ist vierfache Welt- und Europameisterin. Auf der Bahn ist sie nach ihrer Goldmedaille an der WM in Rio de Janeiro Titelträgerin im Omnium, auch im Strassenrennen holte sie 2023 in Glasgow Gold, zudem in diesem Jahr den Gesamtweltcup. Insgesamt hat Rigling schon 18 WM-Medaillen in ihrer Sammlung, mehrere Weltrekorde aufgestellt und sowohl auf der Bahn als auch auf der Strasse bisweilen neue Massstäbe gesetzt.

Grundsätzlich seien die Paralympics ein Wettkampf wie jeder andere auch, sagt Rigling, die bewusst kein konkretes Ziel ausgibt, sondern sich darauf beschränkt, ihre bestmögliche Leistung abrufen zu wollen. Die Zurückhaltung ist schon seit ein paar Jahren das bevorzugte Vorgehen der Studentin der Politikwissenschaften. "Es bringt mir nichts, mich auf Dinge zu konzentrieren, die ich nicht beeinflussen kann", sagt Rigling, die zuletzt einen Monat Höhentraining absolvierte und in der Vorbereitung auf Paris viel in ihr Material investiert hat. Der Lenker wurde ebenso optimiert wie ihre Schuhe, die sie mittlerweile mit einem 3D-Drucker anfertigt, was die Produktionszeiten signifikant verkürzt. Da Rigling in zusammengelegten Kategorien mit nominell stärkeren Athletinnen antreten muss, gehört sie nicht zum engsten Favoritenkreis. Mit einem Exploit ist Edelmetall aber auch in Paris möglich.

Franziska Matile-Dörig

Wie ihre Teamkollegin Rigling hat auch die Appenzellerin an Weltmeisterschaften schon mehrere Medaillen gewonnen. In Glasgow holte sich Matile-Dörig 2023 Bronze im Omnium und Silber im Scratch, das nicht Teil des paralympischen Programms ist. Auch auf der Strasse feierte die 32-Jährige im letzten Jahr beachtliche Erfolge und errang an der EM in Rotterdam Gold im Strassenrennen und im Zeitfahren. In Paris müsse sehr viel zusammenpassen, damit eine Medaille drin liegen könnte, sagt Matile-Dörig, die als Physiotherapeutin und Ernährungsberaterin tätig ist. Ein neues Strassenvelo und Optimierungen in der Aerodynamik ihres Zeitfahrvelos sollen der früheren Orientierungsläuferin zu schnellen Zeiten verhelfen. Auf der Bahn setzt sie die grössten Hoffnungen in die Einzelverfolgung.

Timothy Zemp

Der Krienser hat rechtzeitig für die Paralympics ein wichtiges Upgrade seiner Ausrüstung erhalten. Bisher stieg der 31-Jährige mit seiner Alltagsprothese aufs Rennvelo. Nun hat er eine Sportprothese entwickeln lassen, mit der er direkt im Klickpedal einhängen kann.

Das gibt Zemp deutlich mehr Stabilität, und er kann seine Kräfte gezielter und effizienter einsetzen. Auch sonst hat der Geschäftsführer eines Informatikunternehmens viel ins Material und in die Aerodynamik investiert. Als Ersatz hat er den Anzug im Gepäck, den Stefan Küng unlängst bei den Olympischen Spielen dabei hatte. "Ich freue mich sehr auf die Erfahrung Paralympics", sagt Zemp, der den Erfolg seiner Premiere nicht zwingend vom sportlichen Abschneiden abhängig machen will. "Ich bin ein realistischer Mensch und weiss, dass es für mich eher schwierig werden dürfte, um eine Medaille zu fahren." Seine grössten Chancen sieht er auf der Bahn in der Einzelverfolgung.

Benjamin Früh

Der Zürcher hat seine ersten Runden durch Paris schon gedreht. Im Rahmen eines Testlaufes konnten die Handbiker die Strecke schon einmal abfahren. Herausfordernde Abfahrten und anspruchsvolle Kurven machte der 32-Jährige dabei aus, aber die Besichtigung ermutigte ihn auch, zu sagen: "Ich kämpfe um eine Medaille." Früh fokussiert sich in Paris aufs Zeitfahren, weil seine Wettkampfklasse separat starten kann. Da im Strassenrennen mehrere Kategorien miteinander antreten, sieht der gelernte Mediamatiker da keine Chance, um die vorderen Ränge mitfahren zu können.

Ilaria Renggli

Die Aargauerin spielt erst seit gut vier Jahren Badminton, hat sich aber schon an die Weltspitze vorgearbeitet. Zusammen mit ihrer jurassischen Doppelpartnerin Cynthia Mathez bildet Renggli eines der besten Duos der Welt. WM-Bronze und EM-Silber gehört bereits zu ihrem Palmarès, nun träumt die 24-Jährige auch von einer paralympischen Medaille, wobei die Chancen dazu im Doppel deutlich höher sind als im Einzel, wo die Konkurrentinnen aus Japan, China, Thailand, Südkorea oder Taipeh doch zu stark sein dürften für eine Schweizer Top-3-Klassierung. Renggli will sich aber nicht unter Druck setzen und ihre Premiere vor allem auch geniessen.

Luca Olgiati

Im Gegensatz zu Renggli und Mathez musste sich der Aargauer über die Einzel-Konkurrenz qualifizieren. Dass ihm dies gelungen ist, macht den 36-Jährigen glücklich. "Bei den Paralympics dabei sein zu dürfen, ist ein absolutes Highlight für mich", sagt Olgiati. Das Tableau der Männer ist so organisiert, dass sich von den vier Dreiergruppen lediglich die Ersten durchsetzen und direkt Halbfinals austragen. Da der gelernte Geomatik-Ingenieur unter anderem auf die japanische Weltnummer 1 trifft, macht er sich keine Illusionen darüber, mehr als zwei Spiele bestreiten zu können.

Claire Ghiringhelli

Für die gebürtige Tessinerin sind die Paralympics ein Heimspiel.

Ghiringelli wohnt schon länger südlich von Paris und kennt entsprechend die Anlage von Vaires-sur-Marne bestens. Die 46-Jährige hat erst vor fünf Jahren mit dem Rudern angefangen, sich damit aber in eine Pionierrolle gehievt. Denn ausser ihr hat sich in der Schweiz noch nie jemand auf hohem Niveau ans Para-Rudern herangewagt. "Ich hoffe, ich kann andere dazu motivieren, mit dieser Sportart anzufangen", sagt Ghiringhelli, die sichtlich stolz ist, es an die Paralympics geschafft zu haben. Sie hofft, es in ihrem Wettkampf in den A-Final der besten sechs Ruderinnen zu schaffen. Damit hätte sie ihre Premiere mit einem Diplom gekrönt.

Bild: Keystone-SDA/Ennio Leanza

Text: Simon Scheidegger

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